“Man muss das Leben tanzen!”
Autorin: Kirsten Schwikkard
Ich bin Mutter eines nierenkranken Kindes und unsere Geschichte beginnt an einem schönen Sommertag. Es war der 22. Juli 2007 und unser damals dreijähriger, bis dahin vermeintlich gesunder Sohn, wachte aus dem Mittagsschlaf auf und hatte Fieber und Bauchschmerzen. Da es Sonntag war, fuhren wir zum Notdienst. Die fanden alles seltsam, schickten uns aber wieder nach Hause. Der Kinderarzt fand am nächsten Tag auch alles seltsam und schickte uns ins Krankenhaus. Die fanden auch alles seltsam und behielten uns da. Wie sich dann schnell herausstellte, funktionierten die Nieren aufgrund einer Glomerulonephritis da schon nicht mehr und unser Leben veränderte sich schlagartig. Es wurde ein nephrotisches Syndrom diagnostiziert und die Behandlung begann, brachte aber keine Besserung.
Nach zwei Monaten Krankenhausaufenthalt bei uns im Ort, wechselten wir an die Uniklinik Essen und dort war dann schnell klar, dass sich die Nieren nicht mehr erholen würden und eine Dialysepflicht anstand. Das zog uns wirklich den Boden unter den Füßen weg und wir hatten große Angst vor dem, was da auf uns zukam. Wir hatten ja auch zuhause noch einen fünfjährigen Sohn, der auch versorgt werden wollte. Aber man muss die Päckchen tragen, die einem auferlegt werden. Man hat ja auch einfach keine andere Chance. Anfang Januar 2008 war es dann soweit. Der Tenckhoff-Katheter wurde gelegt und die Bauchfelldialyse begann. Ich weiß noch, wie ich mit unserem Sohn auf die OP gewartet habe und immer seinen Bauch geknuddelt habe, wohlwissend, dass das für lange Zeit nicht mehr gehen wird, wenn erstmal überall Schläuche und Pflaster sind.
Als unser Sohn aus dem OP rauskam, war schlagartig alles irgendwie gut. Jetzt konnte man aktiv werden und musste nicht immer nur auf das Unheilvolle warten. Nachdem es unserem Sohn monatelang wirklich schlecht ging, hatten wir jetzt auf einmal ein Kind, dass wenige Stunden nach OP und Dialysebeginn wieder aß und es vor allem auch bei sich behielt. Mein Mann und ich haben uns schnell anlernen lassen und es konnte nach guten drei Wochen nach Hause gehen. Es war der Tag vor dem vierten Geburtstag unseres Sohnes. Und dieser Geburtstag wurde richtig gefeiert, mit vielen Kindern, Spielen und jeder Menge Spaß. Das Leben hatte uns irgendwie wieder, trotz Dialyse. Wir haben sie einfach in unser Leben integriert. Alles lief wieder normal. Die Jungs waren im Kindergarten und gingen zum Kinderturnen. Alles war wieder möglich. So sind wir auch über Ostern direkt ein paar Tage ans Meer gefahren. Und, weil wir so erschöpft waren von den vielen Monaten im Krankenhaus, hatten wir für den Sommer direkt St. Peter Ording gebucht. Es ging mit viiieeel Gepäck los und wir hatten eine großartige Zeit. Unvergessen bleibt sicherlich auch die Dialyse, die wir noch im Auto auf dem Strandparkplatz gemacht haben, um dann einen unbeschwerten Tag zu haben. Dieser Urlaub fand nach einer Woche – geplant waren drei Wochen – ein jähes Ende, als uns unser Oberarzt anrief und sagte, dass es ein Nierenangebot für unseren Sohn gab. Mein erster Gedanke war damals tatsächlich, oh nein, nicht schon wieder Krankenhaus. Aber natürlich haben wir sofort gepackt, uns ins Auto gesetzt und sind durch die dunkle Nacht von St. Peter Ording nach Essen gefahren. Das war nicht so einfach, denn wir hatten nicht nur die Sorge vor der Transplantation im Kopf, sondern es war klar, dass während wir hoffnungsvoll ins Krankenhaus fuhren, sich eine andere Familie von einem geliebten Menschen verabschieden musste. Dieser Familie und dem Organspender können wir gar nicht dankbar genug sein. Denn die Transplantation lief erfolgreich und unser Sohn konnte nach vier Wochen das Krankenhaus als fast normaler Junge wieder verlassen. Es war ziemlich genau ein Jahr vergangen, nachdem unser Sohn krank aus dem Mittagsschlaf aufgewacht war. Ein Jahr voller Höhen und Tiefen. Aber wir haben uns nie unterkriegen lassen. Wir haben immer versucht, unseren beiden Kindern eine fröhliche Zeit zu ermöglichen.
Mittlerweile sind 15 Jahre vergangen. Unser Sohn konnte dank der Spende eine relativ normale Kindheit erleben. Er wuchs auf wie alle anderen. Er durfte im Hockeyverein spielen, ging zum Gitarrenunterricht, lernte schwimmen, spielte mit Freunden auf der Straße, freute sich über unseren Hundezuwachs, fuhr mit uns an viele verschiedene Orte, um Urlaub zu machen und konnte ganz normal zur Schule gehen. Natürlich gab es auch immer mal wieder Rückschläge mit verschiedenen Erkrankungen und auch wirklich schlimmen Krankenhausaufenthalten. So bekam unser Sohn eine schwere Blutvergiftung mit daraus resultierender PTLD, er hatte eine Abstoßung, er hatte eine Bauchspeicheldrüsenentzündung und viele, viele kleine Infekte. Aber er hat immer gekämpft, wollte ein normaler Junge sein und Spaß haben und ich denke, dass wir das geschafft haben.
Jetzt ist die geschenkte Niere 15 Jahre alt und ist müde und arbeitet nicht mehr richtig. Seit Mai 2023 ist unser Sohn wieder an der Dialyse. Dieses Mal ist es eine Hämodialyse. Entgegen der ärztlichen Prognosen konnten wir sie zwar noch mal 2 Jahre hinaus zögern, aber im Mai war es dann soweit. Unser Sohn kommt zwar mit der Dialyse klar, aber die Schule ist beendet und er muss ins Berufsleben. So eine Ausbildung ist aber nicht wirklich kompatibel mit einer Dialyse, zu der er dreimal in der Woche muss. Aber auch hier lassen wir uns nicht unterkriegen. Die Dialyse muss sich dem Leben unseres Sohnes anpassen und nicht umgekehrt. Die ersten Schritte sind gegangen und wir werden in naher Zukunft eine Heimdialyse machen. Dann kann unser Sohn eine Ausbildung beginnen und wir machen die Dialyse, wann und so oft es zeitlich passt.
Unsere Geschichte geht weiter und es werden bestimmt noch einige Hürden kommen, aber das Leben ist schön. „Man muss es tanzen“, sagt ein Spruch und wir werden das Beste daraus machen, damit unser Sohn ein farbenfrohes Leben leben darf.
Zwei Dinge haben uns in der ganzen Zeit sehr geholfen. Wir hatten das Glück, eine hervorragende Betreuung durch unsere Klinik zu bekommen und fanden auch schnell Anschluss im Elternverein „Nephrokids“. Menschen mit ähnlichen Geschichten zu treffen, sich auszutauschen, aber auch hier vor allem wieder bei Festen oder Freizeiten jede Menge Spaß zu haben helfen, solche Schicksale auszuhalten und zu bewältigen.